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Harry Potter und der glanzlose Glum

(von Malte Weber)

10. Stürmische Überfahrt

 

Langsam näherte sich das Ruderboot mit Hagrid, Hermine und Harry der Motoryacht, an dessen Bug der Name „Bronagh“ prangte. Ron, Fred und George waren bereits dabei, die Taue und Tampen zu ordnen. Der Wind frischte etwas auf und Harry wurde es flau im Magen, als er an der Strickleiter an Bord kletterte. Hagrid hievte das Beiboot an Bord und befestigte es an seinem Platz am Heck. Dann ließ er die Weasley-Zwillinge die Segel setzen und betrachtete Harry mit mitleidigem Blick, denn dessen Gesicht hatte eine leicht grünliche Farbe angenommen.

„Such‘ Dir einfach ´nen festen Punkt am Horizont und behalt ihn fest im Blick, dann geht’s gleich wieder“, versuchte er Harry aufzubauen. Hermine war inzwischen die Wanten hinaufgeklettert, weil sich der Stander verhakt hatte, um ihn zu befreien.

„Was machst Du da? Pass bloß auf!“, rief Harry ihr hinter her.

„Der Stander muss frei bleiben, damit wir Windrichtung und Kurs berechnen können, steht alles im Segelbuch meines Vaters“, rief Hermine aus luftiger Höhe zurück und turnte wieder herunter. Harry schien der Einzige zu sein, dem der mittlere Seegang etwas ausmachte. Nur Ron war ebenfalls etwas blass um die Nasenspitze geworden, aber er kannte das Schiff bereits von der Hinfahrt zu Kathleens Isle. Doch nun war der Wind stärker und wehte immer noch aus Ost, so dass sie kreuzen mussten.

Harry beherzigte Hagrids Ratschlag und visierte eine kleine Felsformation am Horizont an und schon bald hatte sich sein Körper an den schlingernd-stampfenden Rhythmus der Yacht gewöhnt. Er atmete tief durch und ging dann unter Deck, um sich in der Kajüte umzusehen. Dort drin war gleich am Anfang ein Kartentisch mit einem Sprachrohr hinauf zum Ruderstand. Dahinter war eine kleine Pantry mit allerlei Pfannen und Töpfen sowie einer Halterung für das Geschirr, in deren Anschluss sich die Kajüte zur Messe weitete, wo an einem großen Tisch genügend Platz für zwölf Personen war. Weiter in Richtung Bug waren die Kojen an beiden Seiten zur Bordwand eingelassen, jeweils zwei übereinander, bis hin zum Bugspriet, wo ein kleiner Aufgang vor der Ankerwinde gezimmert war. Dort ging Harry wieder hinauf an Deck und kam gerade rechtzeitig, um Fred im Klüvernetz zu helfen, die Focksegel zu bergen, weil es weiter aufgebriest hatte.

„Wir holen alle Segel ein und fahren mit Motorkraft weiter“, entschied Hagrid, der breitbeinig hinter dem Steuerrad stand, während ihm die Gischt in den Bart spritzte. „Ach, und was ist eigentlich mit Tee?“, wandte er sich an Ron, der froh über einen Grund war, in Richtung Pantry zu verschwinden.

Als alle Segel unter der Persenning waren, bot sich Hagrid an, solange es noch hell war, alleine an Deck zu bleiben und das Schiff zu steuern.

„Mein Tee kann ruhig etwas kräftiger sein, wenn ihr wisst, was ich mein‘“, rief Hagrid ihnen hinter her, als sie durch die Decksluke hinabstiegen. Die in der Messe entzündeten Petroleumlampen warfen ein diffuses Licht auf die kunstvollen Seemannsknoten, die an der Wand hingen. Fred und George waren zu ihren Kojen gegangen, so dass sich Harry, Ron und Hermine in Ruhe unterhalten konnten. Nachdem sie Hagrid seinen „kräftigen“ Tee gebracht hatten, wandte sich Harry an Hermine.

„Was sollst Du nach Dumbledores Ansicht üben?“, wollte er von ihr wissen.

Hermine errötete. „Euch hatte ich es noch nicht gesagt, weil ich es eigentlich ganz für mich allein werden wollte: Nach unserem Erlebnis in der Heulenden Hütte im vergangenen Jahr habe ich begonnen, Animagus zu werden. Als ich aber vor ein paar Tagen Rita Kimmkorn enttarnt habe, habe ich lieber Dumbledore informiert, weil ich merkte, wie gefährlich es ist, ein ungemeldeter Animagus zu werden. Dumbledore hat es geschafft, meine Ausbildung rückwirkend anzumelden, auch wenn er zunächst enttäuscht war, dass ich ihn nicht gleich informiert habe. Und das seid Ihr jetzt bestimmt auch“, fügte sie zähneknirschend hinzu.

Das waren die beiden wirklich. Stille senkte sich über den Tisch, bis Ron schließlich fragte: „Wie weit bist Du denn jetzt?“ „Ich bin schon ziemlich weit, und ich hätte es Euch bestimmt auch bald erzählt, selbst wenn ich als ungemeldeter Animagus weiter geübt hätte, was nicht so schnell gegangen wäre, wie jetzt, wo mir Dumbledore...“

„Aber Du hast es uns nicht erzählt, unterbrach Harry sie. „Du hast es uns über ein Jahr vorenthalten.“

„Ich wollte es aber noch erzählen, wirklich“, beteuerte Hermine.

„Wann, wenn Du als Kaninchen vor uns gesessen hättest?“, warf Harry ein.

„Woher weißt Du, dass ich...?“, stutzte Hermine.

„Na, Deine Schneidezähne, bevor Du sie von Madame Pomfrey hast schrumpfen lassen“, grinste Harry, und alle drei lachten. Sie erinnerten sich an den Weihnachtsball, wo ihnen das erste Mal aufgefallen war, dass Hermines Vorderzähne nicht mehr so übergroß waren wie vor Malfoys Fluchangriff auf Harry, der Hermine getroffen hatte. Im Anschluß an den Fluch, der Hermines Zähne ellenlang wachsen ließ, hatte sie bei Madame Pomfrey ihre Zahnlänge etwas passender korrigieren lassen.

„Zeig doch mal“, sagte Ron und nun war die Enttäuschung der beiden Jungen ihrer Neugier gewichen. Hermine trat einen Schritt zur Seite und konzentrierte sich. Für wenige Sekunden verwandelte sie sich in ein kleines Kaninchen, dessen Fell der Farbe ihres Haares glich, doch dann stand sie wieder in ihrem normalen Körper vor Harry und Ron.

„Ich schaffe es noch nicht sehr lange“, bedauerte Hermine, doch Harry und Ron sahen sie bewundernd an.

„Wie praktisch, schließlich gibt es Kaninchen ja überall“, meinte Harry anerkennend.

„Ich würde Dich glatt als Haustier nehmen, Du kannst ja richtig niedlich sein“, lächelte Ron Hermine an.

„Das hättest Du wohl gerne“, entgegnete Hermine schnippisch und lächelte zurück.

„Langsam könnt‘ ich ma‘ Hilfe brauchen“, ertönte Hagrids Stimme aus dem Sprachrohr beim Kartentisch.

„Ich geh‘ schon“, sagte Harry den beiden und ging hinauf zum Ruderstand. Es war noch dämmerig, auch wenn die Sonne bereits untergegangen war und die ersten Sterne schon am Himmel standen. Hagrid hatte die Positionslampen bereits eingeschaltet, bemerkte Harry, als er zu ihm ans Steuerrad trat.

„Kannst Du vorn‘ den Ausguck übernehm‘?`“ fragte Hagrid.

„Klar, wenn ich was sehe, melde ich es Dir“, antwortete Harry. Er ging zum Bug und legte sich ins Klüvernetz. Während er dem Wellenrauschen unter sich lauschte, kam er sich unter dem Klüverbaum ein bisschen wie eine Gallionsfigur vor. Er suchte den Horizont ab, aber weit und breit war nichts zu sehen. Harry ließ den Blick über den mittlerweile sternenübersäten Himmel schweifen. Als Harry nach einer Stunde noch immer keine fremden Positionslichter ausgemacht hatte, schlenderte er zum Heck.

„Es ist alles ruhig“, meinte er zu Hagrid.

„Jep. Bis auf den Frachter auf elf Uhr, aber den hab‘ ich schon geseh’n“, brummte Hagrid und deutete nach backbord. „Der zieht aber vor uns vorbei“, beruhigte Hagrid Harry, der verdutzt links am Mast vorbei blickte, um das Kümo zu entdecken, das er übersehen hatte. „Schon in Ordnung, der tauchte erst auf, als Du schon auf’m Weg zu mir warst“, tröstete Hagrid ihn. „Guck ma‘, ob Du die Küste schon siehst.“

Der Frachter war schon lange am Horizont verschwunden, als George und Fred am Ankerspill erschienen.

„Harry, Du kannst Dich jetzt in Deine Koje packen, wir übernehmen die Hundewache“, rief George Harry zu, der es sich wieder im Klüvernetz bequem gemacht hatte.

„Hundewache?“, fragte Harry, der müde den beiden entgegen kletterte.

„Ja, von Mitternacht bis vier Uhr morgens“, erklärte Fred ihm. „Danach sind Ron und Hermine dran und wir sehen uns zum Frühstück wieder.“

„Nichts dagegen. Die Küste habe ich noch nicht ausmachen können, aber Hagrid meinte, dass sie bald in Sicht kommt“, erwiderte Harry, der sich langsam an die Ausdrucksweise auf dem Schiff gewöhnt hatte. Er ließ die ausgeschlafen wirkenden Zwillinge allein und ging unter Deck, um sich hinzulegen. Als Harry sich in die Koje legte, fühlte er sich müde, aber zufrieden und ließ sich von dem stampfenden Rhythmus des Schiffes in den Schlaf wiegen.

Am nächsten morgen ging Harry frisch und erholt an Deck, wo er überrascht feststellte, dass sie bereits unmittelbar vor einer Hafeneinfahrt waren. Auf einer Mole konnte er Ludo Bagman erkennen, der ihnen zuwinkte. Harry winkte zurück. Dann blickte er sich um, wo er helfen konnte. Ron, Hermine, Fred und George legten gerade den Bullen um, und Harry sprang zum Baum des Hauptmasts hinzu.

„Wir sind schon fertig“, rief Ron ihm entgegen.

„Wo sind wir denn hier?“, wollte Harry wissen, als die vier ihm entgegentraten.

„Das ist Rathborough“, erklärte Hermine und deutete auf das kleine Hafenstädtchen. „Wie Hogsmeade ist es ein reiner Zaubererort, zumindest zur Hälfte. Den Hügel hinauf wohnen einige Muggel, die allerdings in ihrem Teil bleiben. Sie sind seit Generationen hier und wundern sich daher kaum noch über magische Geschehnisse. Die gesellschaftliche Entwicklung ist großteils an ihnen vorbei gegangen. Sie haben nicht mal Telefon oder Fernsehen.“ Als sich die vier Augenpaare auf sie richteten, referierte sie weiter: „1642 wurde ein Vertrag zwischen Zauberern und Muggeln im Ort geschlossen, heißt es im ‚Buch britischer Muggelbeziehungen‘, das ich für Muggelkunde gelesen habe“, grinste Hermine über die wissbegierigen Blicke. „Den Rest erzähle ich Euch an Land“, sagte sie, weil sie sah, dass Hagrid am Steuerrad mit einem Fender winkte.

„Die könnt Ihr mal außenbords hängen“, dröhnte seine kräftige Stimme über Deck. Die fünf nahmen sich jeder einen Fender, einen alten Autoreifen an einem Tau, der die Berührung des Schiffes mit der Kaimauer abfedern sollte. Damit gingen sie an die Steuerbordseite, wo der Kai bereits wenige Meter entfernt war. George befestigte seinen Fender und sprang an Land, um die Festmacherleine aufzufangen, für die Fred währenddessen einen Wurfknoten geknüpft hatte. In hohem Bogen warf Fred seinem Zwillingsbruder das Seil zu. Auch Ludo Bagman war herangeeilt, um beim Festmachen seiner „Bronagh“ zu helfen. Als sie das Schiff gut vertäut hatten, begrüßten sie den Leiter der Abteilung für magische Spiele und Sportarten im Zaubereiministerium. Anschließend holten sie ihre Sachen aus der Kajüte und gingen endgültig an Land.

„Dumbledore hat mir eine Eule geschickt und geschrieben, dass Fred und George mit diesem Portschlüssel zurück nach Kathleens Isle sollen“, erklärte Bagman ihnen und hielt eine Angel in die Höhe. „Die ‚Bronagh‘ bleibt vorerst hier liegen. Hagrid braucht sie später ja noch“, fuhr Bagman fort. „Nun solltet Ihr Euch beeilen, ich hatte Euch eigentlich schon früher erwartet.“

 

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